Die CDU-Fraktion wollte mit einem Bürgerentscheid ganz sicherlich die Errichtung einer Gesamtschule in Bocholt verhindern. Ratsfrau Bärbel Sauer, die der Bocholter „Initiative für soziale Gerechtigkeit“ angehört, hat hingegen immer wieder gefordert, dass der Elternwille zählt und sich zugleich in dieser Frage gegen einen Bürgerentscheid ausgesprochen. Nun bekommt sie indirekt vom Schulministerium Rückenwind. In einem Schreiben an die Stadt Bocholt stellt das Schulministerium nämlich klar, dass in der Schulfrage der Elternwille entscheidet. Nachfolgend die ungekürzte Stellungnahme des Ministeriums für Schule und Weiterbildung NRW:
„Auf Ihre Bitte um Stellungnahme zum Vorhaben der Stadt Bocholt, „die Bürgerinnen und Bürger per Ratsbürgerentscheid darüber bestimmen zu lassen, ob in Bocholt eine Sekundar- oder Gesamtschule eingerichtet wird“ empfehle ich, der Stadt Bocholt von diesem Vorgehen abzuraten.
Gemäß § 26 Absatz 1 Satz 2 der Gemeindeordnung NRW kann der Rat beschließen, dass über eine Angelegenheit der Gemeinde ein Bürgerentscheid stattfindet. Zulässigkeitsvoraussetzung des Bürgerentscheids ist aber, dass die Angelegenheit zulässigerweise inhaltlich vom Rat entschieden werden kann. Durch diesen Bürgerentscheid kann also lediglich förmlich ein ansonsten zu fassender Ratsbeschluss, nicht aber ein spezialgesetzlich vorgesehenes weiteres Verfahren ersetzt werden.
Nach § 78 Absatz 4 Satz 2 SchulG ist ein Schulträger zur Schulerrichtung verpflichtet, wenn ein entsprechendes Bedürfnis besteht. Bei der Feststellung des Bedürfnisses ist gemäß § 78 Absatz 5 SchulG auch der Wille der Eltern zu berücksichtigen. Nach der gesetzgeberischen Wertung stellt sich daher das einzuhaltende Verfahren in der Regel so dar, dass zunächst das Bedürfnis zu ermitteln ist und auf dieser Basis ein Schulerrichtungsbeschluss erfolgt. Gemäß dem RdErl. d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung v. 6. 5. 1997 „Errichtung, Änderung und Auflösung von weiterführenden allgemeinbildenden Schulen und Berufskollegs“ ist für eine rechtserhebliche Feststellung des Bedürfnisses der Wille der Erziehungsberechtigten zur schulformbezogenen Nachfrage in einem förmlichen Verfahren zu ermitteln.
Die Stadt Bocholt hat zwischenzeitlich zwar eine Elternbefragung vor-gelegt, es bestehen jedoch erhebliche Zweifel, dass diese zu einer verbindlichen Bedürfnisfeststellung geeignet ist. Gemäß Ziffer 2.1 b) des vorgenannten Runderlasses muss die Fragestellung eindeutig und dar-auf gerichtet sein, ob die Erziehungsberechtigten daran interessiert sind, ihr Kind an der zu errichtenden Schule anzumelden. Dabei kann den Erziehungsberechtigten auch die Möglichkeit gegeben werden, ihr Interesse an einer anderen Schulform anzugeben. Die Stadt Bocholt hat die Eltern des 3. und 4. Jahrgangs der Grundschulen für jede hypothetische Schulformempfehlung (Hauptschule/ Realschule/ Gymnasium) um Angabe gebeten, an welcher Schulform sie ihr Kind anmelden würden. Diese Vorgehensweise hat dazu geführt, dass beispielsweise auch die Eltern, die bei ihrem Kind von einer Gymnasialempfehlung ausgehen, angegeben haben, an welcher Schulform sie eine Anmeldung vornehmen würden, bekäme das Kind eine Hauptschulempfehlung. Dabei rechneten selbst nur 7,5 % der Eltern zum Zeitpunkt der Befragung mit einer Hauptschulempfehlung. Insgesamt sind damit bei 1074 zurückgegebenen Befragungsbögen 3523 Angaben zur Wahl der Schulform gemacht worden. Dies vermittelt zwar ein allgemeines Stimmungsbild dahingehend, dass z.B. insbesondere im Fall einer Haupt- und Realschulempfehlung die Schulform Gesamtschule bevorzugt wird, lässt jedoch nicht ohne weiteres konkrete Rückschlüsse zu, wie viele Eltern insgesamt tatsächlich im Falle der Errichtung eine Anmeldung ihres Kindes an einer Gesamtschule beabsichtigen. Ein genaues Datum der Elternbefragung ist darüber hinaus nicht ersichtlich. Für eine Schulerrichtung zum Schuljahr 2013/ 2014 sind die Schulformwünsche der Eltern der Grundschulkinder, die sich gegenwärtig im vierten Jahrgang befinden, jedenfalls nicht relevant.
Der vorgesehene Ratsbürgerentscheid ist auch nicht geeignet, das Bedürfnis selbstständig festzustellen und somit die Elternbefragung zu ersetzen. Abgesehen davon, dass dies weder durch das Schulgesetz noch den entsprechenden Runderlass vorgesehen ist, wenden sich die Elternbefragung und der Bürgerentscheid an völlig unterschiedliche Adressatenkreise. Die Elternbefragung orientiert sich mit der Beschränkung auf die Eltern der Grundschulkinder, die für den Besuch der Schule in Betracht kommen (das sind mindestens die, die den Eingangsjahrgang bilden würden), an dem für die Bedürfnisfeststellung tatsächlich relevanten Personenkreis. Dem gegenüber sind bei dem beabsichtigen Bürgerentscheid alle „Bürger“, d.h. alle, die zur Teilnahme an Gemeindewahlen berechtigt sind, stimmberechtigt. Dies ist ein Personenkreis, der einerseits deutlich über den Kreis der Grundschuleltern hinausgeht, andererseits einen erheblichen Teil der Grundschuleltern ausschließt. Ausgeschlossen wären z.B. gemäß § 7 KWahlG Eltern mit „Nicht-EU Staatsangehörigkeit“. Insgesamt ermöglicht daher dieses Verfahren keine verlässliche Bedürfnisfeststellung.
Selbst wenn man jedoch davon ausgeht, dass die bereits durchgeführte Elternbefragung ein hinreichendes Bedürfnis für die Sekundar- oder Gesamtschule belegt oder alternativ eine förmliche Elternbefragung erneut vorgenommen wird, erscheint ein sich daran anschließender Bürgerentscheid unzulässig. Ist ein Bedürfnis festgestellt und die Mindestgröße gewährleistet, so besteht gemäß § 78 Absatz 4 eine Verpflichtung zur Schulerrichtung. Es ergibt sich insoweit keine echte Wahl für die Ratsmitglieder bzw. die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Bocholt, ob die Schule, für die das Bedürfnis besteht, errichtet werden soll. Der Ratsbeschluss, an dessen Stelle der Bürgerentscheid träte, hat hier die bestehende gesetzliche Verpflichtung zur Schulerrichtung lediglich nachzuvollziehen. Ein dem festgestellten Bedürfnis zuwiderlaufendes Ergebnis des (Rats-)Bürgerentscheides wäre daher zu beanstanden.
Grundsätzlich eignet sich das Instrument des Bürgerentscheides bereits nicht, um eine Auswahl zwischen zwei Schulformen zu treffen. Gemäß § 26 Absatz 7 GO kann über die gestellte Frage in einem Bürgerentscheid nur mit Ja oder Nein abgestimmt werden. Der durchgeführte Bürgerentscheid hat die Wirkung eines Ratsbeschlusses. Er muss ei-nen vollziehbaren Inhalt haben. Ein Bürgerbegehren muss daher auch so konkret formuliert sein wie ein Ratsbeschluss. Unzulässig ist es, zwei einander ausschließende Alternativen zur Entscheidung zu stellen. Zwar können zu einer Angelegenheit mehrere Fragen gestellt werden, die in einem Sachzusammenhang stehen, es ist jedoch nur eine Gesamtbeantwortung im Sinne eines Ja oder Nein zulässig (vgl. Rehn/ Cronauge u.a., Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen – Kommentar, § 26 GO S. 7).
Es ist insoweit nicht ersichtlich, wie die Stadt Bocholt über einen Ratsbürgerentscheid eine Entscheidung zwischen zwei Schulformen herbeiführen will.
Ich empfehle vor diesem Hintergrund deutlich, die Stadt Bocholt dahingehend zu beraten, dass sie eine erneute Elternbefragung der gegenwärtigen Jahrgänge 2 und 3 der Grundschulen mit einer eindeutigen Fragestellung durchführt und auf einen Ratsbürgerentscheid zur Errich-tung einer Sekundar- oder Gesamtschule verzichtet.“